Es gibt keine geeignetere Zeit im Jahr seine soziale Seite raushängen zu lassen, als die Adventzeit. Dann, wenn der Wunsch nach Weltfrieden am stärksten ist. Doch es gibt Menschen, die sind auch unterm Jahr aktiv und Menschen, die darauf angewiesen sind. Das VinziRast-CortiHaus in Wien Meidling vereint sie ─ jeden Tag und jede Nacht.

Text: Mascha K. Horngacher
Fotos: Eva Mühlbacher

Die Notschlafstelle VinziRast bietet seit 2004 um die 50 obdachlosen Menschen jede Nacht ein Zuhause. Es ist nur ein Bruchteil jener Männer, Frauen und Jugendlichen, die in Wien bedürftig und nicht anspruchsberechtigt bei öffentlichen Einrichtungen der Stadt Wien sind. Somit unabhängig von Biographie und Herkunft werden sie aufgenommen, erhalten ein warmes Essen, Kleidung bei Bedarf, können duschen und sich in einem trockenen Bett ausruhen, bevor es nach dem Frühstück ab 8 Uhr morgens wieder auf die Straße geht. Da ich selber zum Trupp der freiwilligen Helfer gehöre, die den Laden am Laufen halten, und in etwa einmal im Monat mit Freunden einen Kochdienst schiebe, wollte ich mir die gute Sache von der anderen Seite der Kombüse ansehen.

Quotenfrei mit Hausordnung
Ein Gast nach dem anderen wird zur Anmeldung in den Raum gelassen. Michaela und Phara registrieren sie im System, stolpern über so manchen polnischen, algerischen oder serbischen Namen. Manchmal sind 20 verschiedene Nationen auf die 50 Betten vereint. Die meisten sind nicht zum ersten Mal hier. 30 Nächte dürfen sie hintereinander den Service in Anspruch nehmen, danach sind sie für 6 Monate gesperrt, denn es soll keine Dauerlösung sein – aber Ausnahmen bestätigen die Regel. So großräumig bedingungslos die VinziRast auch gehalten ist, eine Hausordnung gibt es: kein übermäßiger Alkoholkonsum, kein Rauchen im Schlafsaal, Pünktlichkeit, Ordnung, keine Drogen, Gewalt oder Waffen. Sollte jemand aus der Reihe tanzen, sind die andren Gäste zur Stelle und helfen den Nachtdienstlern. Festgehalten werden solche Situationen in einer Art Klassenbuch, das nun vor uns liegt. Notizen von Vortag: xy gesperrt, xy von der Polizei abgeholt, xy ins Spital geliefert, xy ist krank, und bleibt während dem Tag in der Notschlafstelle. Grippe und Erkältung kursieren auch unter den Gästen des Abends, leichte Medikamente werden ausgegeben.

Mit Hund und Charme
Ein paar der Gäste bringen ihren Hund mit. Dessen Wohlergehen liegt dem Besitzer oft mehr am Herzen, als das eigene – eben der beste Freund des Menschen. Aber auch Paare kommen, Frauen alleine eher wenige. Sie suchen seltener Hilfe bei Einrichtungen und ziehen Zweckpartnerschaften vor, was unter das Phänomen verdeckte Wohnungslosigkeit fällt. Auch heute sind die meisten Gäste männlich. Manche erschöpft vom Tagwerk – Arbeiterstrich, Hilfsjobs, Straßenkünstlerei, Bettelei – sie sind in sich gekehrt und wollen nur zu ihrem Schlafplatz. Andere blicken verschmitzt und sind zu Späßen mit den Mitarbeiterinnen aufgelegt (Flirtalarm, das wissen auch die Köchinnen des Abends).

Balance-Akt
Auffällig ist die Gleichbehandlung, mit der jedem Gast begegnet wird. Herzlich, zuvorkommend und wenn ein Gast die 2 Euro Entgelt für die Übernachtung und das Essen nicht hat, wird kein Druck gemacht – dann eben morgen, oder übermorgen. Sollte jemand Kleidung benötigen, kann auch ein Wunsch geäußert werden, der Dachboden gilt als gut sortierte Schatzkammer. Dennoch fehlt es zu dieser Jahreszeit an warmen Jacken und Schlafsäcken. Es kommt vor, dass alle Betten belegt sind und jemand weggeschickt werden muss. Dass schmerzt alle Betroffenen. Doch zumindest kann etwas Wärmendes mit auf dem Weg gegeben werden.

Dunkelziffer Obdachlosigkeit
Wie viele Obdachlose es wirklich gibt, weiß niemand – es ist eine Dunkelziffer. Bettel- und Arbeitsmigranten, Flüchtlinge, sie haben sich für das Leben auf Österreichs Straßen entschieden, weil das noch immer besser ist, als dort, von wo sie kommen. Die Wege in die Wohnungslosigkeit sind auch für Österreicher dieselben: Armut, Alkoholismus, Scheidung, Arbeitslosigkeit, Wegweisung aus der Familie, Krankheit oder Drogen. Es sind keine besoffenen Sandler, stellt Cecily Corti, Gründerin der VinziRast, im gemeinsamen Gespräch das Vorurteil vieler klar. Wesentlich bei ihrer Initiative ist ein grundsätzliches Ja zum Menschen, so wie er ist. Und dabei geht es nicht darum, Mitleid zu haben, sondern Würde zu vermitteln – in beiderlei Richtung.

„Einfach tun, was zu tun ist, die Menschen ernst in ihrer Not nehmen und sich nichts erwarten. Ich glaube nicht an Systeme und Ideologien. Wenn sich etwas ändern kann in dieser Welt, dann weil ich in mir das ändere, was ich mir von anderen erhoffe und ersehne. Unsere Würde wird beschädigt, wenn wir zulassen, dass es Menschen so ergeht, wie wir das erleben. Teilen wird etwas ganz selbstverständliches, wenn ich mich als Teil dieser Welt erlebe.“

Das sollten wir uns zu Herzen nehmen – rund ums Jahr.

Was bedeutet leben auf der Straße wirklich? VinziGast vermittelt auf seiner Facebook-Seite, was  hinter dem Klischee Obdachloser steckt ─ in Echtzeit, wie er sagt.

Hier gehts zum Interview mit der VinziRast-Wien-Gründerin Cecily Corti.