Im Flipperautomat ein bisschen Stammtisch, Fußballstadion und Hip Hop-Battle: Rund um den symbolträchtigen Austriabrunnen ging´s ab – wobei die Pegida Österreich-Sympathisanten kaum Meter machten, bei ihrem ersten Spaziergang.

Text: Mascha K. Horngacher
Fotos: Bernhard Wolf

Diese Vielfalt gab es auf der Freyung möglicherweise schon länger nicht mehr: Einst Tummelplatz von Gauklern und Marktschreiern, auch Schauplatz der einen oder anderen Hinrichtung, brachte der Aufruf zum ersten Pegida Österreich-Spaziergang einen Querschnitt Österreichs Bürger. Angekündigt als friedlicher Spaziergang durch Wiens Innenstadt gab es jedoch nur Stillstand, den Wunsch nach Führung und den Ruf nach Niedergang. Die sprichwörtliche Immunität rund um das Schottenstift – sprich Befreyung von der städtischen Gerichtsbarkeit – hätten sich ein paar Teilnehmer bestimmt auch gewünscht. Doch dieses Asylrecht hat Maria Theresia anno dazumal aufgekündigt.

Irgendwie fehlt der Plan
U1 Station Stephansplatz. Die Rolltreppe zum Graben hoch und schon ist man mittendrin – Hubschrauber-Geknatter und Polizei. Polizisten sind in jeder Gasse Richtung Freyung und dort in großer Zahl entlang des Platzes. Zwischen losen Menschen-Grüppchen geistern auffällig viele Medienvertreter herum, bei ihrem Versuch die Volksseele zu fassen. Es mutet einem orientierungslosen Warten an. Doch dann, um 18.30 Uhr beginnt pünktlich das Spiel äh der Spaziergang.

Von Wölfen und Schafen
Pegida Österreich Sprecher Georg Immanuel Nagel ergreift zwar das Megaphon, aber kaum das Wort. So überwältigt ist er von der Media-Präsenz. In diesem Moment gleicht er eher einem Schaf, eingekreist von einer wölfischen Journalisten-Meute, als dem Hirten, mit dem die angereisten Menschen spazieren möchten. Diese stehen in quasi dritter Reihe und verstehen einfach nicht, was sie tun sollen. Zum einen weil ihr Sprecher über das Megaphon viel zu leise ist – die Organisatoren haben ihre Anziehungskraft unterschätzt – zum anderen gibt es unter lautem Pfeifen die ersten Festnahmen von Unruhestiftern. Damit es nicht zu weiteren und einem schlechten Ruf kommt, ermahnen sich die Menschen gegenseitig. Und erinnern an die Vorschriften der Veranstalter: kein Alkohol, keine Uniformen, keine fremdenfeindlichen Sprüche.
Wenig später kommt zum ersten Mal richtig Bewegung in die Menge. Nagel scheint alles gesagt zu haben, oder auch nicht, aufregender klingt es im Westen: Unbeobachtet haben sich Gegendemonstranten aus der Menge gelöst und sich zu einer Front formiert. Da eilen sie, die Journalisten und Polizisten, es ist der Beginn eines Flipper-Spiels.

Eins zwei oder drei – ob sie wirklich richtig stehen?
Journalisten schießen von links nach rechts, oder Ost nach West über den Platz, immer der vermeintlichen Action hinterher. Um dann, südlich Richtung Innenstadt, zwischen die Fronten zu geraten. Nach wenigen Metern wird der Spaziergang von einer Barrikade aus Antifaschisten aufgehalten. Die Journalisten müssen sich bald entscheiden: Aufi oda owi? fragt ein Polizist. Hmm, wo wohl die besseren Aussichten auf geiles Bildmaterial liegen mögen: rechts oder links, im Norden oder Süden, vorwärts oder rückwärts? Zurück gibt es nicht.

Plattform vieler
Über eine Polizei-Kette hinweg startet ein ungleicher Battle: Die einen brüllen ihre Parole, die anderen brüllen zurück. Sind sich die Gegendemonstranten in ihrem Ziel einig – Nieder, nieder mit PegidaEs lebe der Verrat, an Vaterland und Staat – klingt es auf Seiten der Pegida-Spaziergänger vielfältiger.
In ihrer heterogenen Masse finden sich Tierschützer (Religiöses Schächten ist Tierquälerei), Abtreibungsgegner (Stoppt die Beratung durch Tötungs-Ärzte), deutsch-nationale Burschenschafter (Heimat, Freiheit, Tradition – Multikulti Endstation), Christen (die am liebsten mit dem Kreuz voran Richtung Stephansdom und weiter ziehen wollen), eine Familie (Wir haben euer betreutes Denken satt; Der Islam gehört nicht zu Wien), Alte (1529 ✓, 1683 ✓, 2015 ?), Direkte Demokratie-Anhänger (wichtige Sachfragen selbst entscheiden), Hooligans (Hasta la vista – Salafista, Wir wollen keine – Salafisten-Schweine, Lügenpresse, Glühweinfresse), Neo-Nazis (Sieg) und aus Deutschland eigens angereiste Pegida-Anhänger (auch wir haben klein angefangen). Über ihren Köpfen schwingen Flaggen – österreichische, wiener, deutsche, serbische, bulgarische. Wir sind das Volk ist der Slogan, in dem die Menschen momentweise Vereinigung finden. Ob das für eine Einheit reicht, wird sich heute nicht zeigen.

TickTackTur
Der Mond als stummer Zeuge hängt mehr als halb voll im blauen Himmel. Langweile macht sich in den hinteren Reihen breit. Einige Menschen verlassen den Schauplatz, die raren Flugblätter gehen weg wie Glühwein. Doch da, eine kurze Bewegungswelle: HogidA – Hobbits gegen die Isengardisierung des Auenlandes führen Richtung Norden an und werden von Polizisten am Weitermarschieren gestoppt.
Nach eineinhalb Stunden rollt ein Polizeiauto heran: Die Veranstaltung wird polizeilich aufgelöst*. Zwischen empörten Rufen (Diktatur), Pfeifen und Buhen, verflüchtigen sich Nagels Dankesworte, wie der Dampf aus den enttäuschten Mündern. So war das nicht gedacht, wir wollen noch nicht gehen, wir kommen wieder. Heute eine Kapitulation. Na dann schauma.
Zufrieden war nur der Volksanwalt. Auf dem Austriabrunnen stehend, bewahrte er den Überblick. Sein Fazit: Der Polizeieinsatz wahrte zwar die Menschenrechte, doch sei es demokratierechtlich bedenklich, dass die Pegida ihre Veranstaltung nicht abhalten konnte.

Wenn auf der Freyung Flipper gespielt wird, die Flipperhebel Antifa und Pegida in ihrer Bewegung die Journalisten und Polizisten hin und her schießen lassen, ist eine Rolle noch unbesetzt: Wer spielt?
Eine mögliche Antwort.

 

*Laut Pegida Wien hat der Demonstrationsleiter die Veranstaltung aufgelöst; laut Pegida Österreich kam die Anordnung von höherer Ebene. Auch die Öffentlichkeitsarbeit benötigt Einheitlichkeit.