Stahlstadt in der Steppe, Höhlen, Geisterdörfer, eine Menge Mais, Buddhas und ein ausgetrocknetes Flussbett: Die Welt ist viel zu schön, um darüber zu fliegen. So wirbt Eurolines und findet auch in der Inneren Mongolei Bestätigung.

Text: Mascha K. Horngacher
Fotos: Mascha K. Horngacher, Angelika Gürtl


Schwer zu sagen, ob das Kloster die Busfahrt wert war oder die Busfahrt das Kloster, auf jeden Fall war Beides die blauen Flecken wert. Von Baotou, der dreckigsten Stadt Chinas, ging`s mit dem Shaolin-Bus zum Wudangzhao Kloster, das älteste der Gegend.

Höhlen und Hügel, wohin das Auge reicht
Am Weg Richtung Norden stehen am Stadtrand große Bauten, ein Stadion und dazwischen gibt es immer wieder weite, naturbelassene Grünflächen. Schön anzusehen, trotzdem kratzt der Hals und die Augen werden trocken. Unvorstellbar hier leben zu müssen, trotzdem tun es 2,3 Millionen Menschen – im Zentrum Chinas Schwerindustrie.
Ein Mann transportiert auf einem Motorrad lange Stahlstangen und einen Käfig voller Tauben. Der junge Busfahrer äschert auf den Boden, was generell in China auch in Restaurants üblich ist. Während ich das beobachte, beobachtet uns vom Nebensitz aus das Auge einer alten Frau. Ihr Zweites liegt blind, grau und gruselig-starr in der anderen Augenhöhle. Wir fahren dreißig Minuten immer weiter gen Hügel, die Einäuge summt und plötzlich steht kampfbereit Genghis Kahn auf einem Felsen. Wir fahren an ihm vorbei durch eine trockene Landschaft, deren karge Pflanzenwelt sich herbstlich zu verfärben beginnt. Die Einäugige hat kurze, kräftige Finger. Vielleicht von der Arbeit am Feld?
Auf einer friedlichen Hochebene findet sich in aller Einfachheit das Leben: Ein Bauer auf der braunen Erde kriechend mit einer Hacke in der Hand, verlassene Industriegebäude, unerklärliche Terrassen, Zeugnisse vom Kohleabbau, zum Trocknen aufgelegter Chilli und Mais, Hirsefelder und alte Frauen mit weißen Kopftüchern. An der Straße sind Sandstein-Höhlen – Lagerraum für Getreide.

Minderheit ¡Olé!
Wir kommen mit dem Buddy vom Shaolin-Busfahrer ins Gespräch. Er ist Mongole. Doch wie seine Eltern, spricht er nur Mandarin. Es ist paradox: die Siedlungspolitik Chinas hat aus den Mongolen der autonomen Region eine Minderheit gemacht. Die Versuche der Regierung die Sprache der Minderheit in Schulen zu fördern, fruchtet bei Betroffenen kaum. Es fällt schwer, sich für eine Sprache zu entscheiden, mit der ein einziger Fernsehkanal bespielt wird und nicht einmal ein Radiosender. Außerdem ist das Mongolisch in der Inneren Mongolei verschieden zu dem der Mongolei. In diesem Kontext steht krass die wunderbare von einigen ChinesInnen mit Inbrunst vorgetragene Aussage: „You know, there are 56 minorities living in China.“. Yes I do, und auch, dass man diesen in Beijing ein fettes Areal gewidmet hat, auf dem Han-Chinesen als Minderheit verkleidet Chinas Minderheiten imitieren, ähm präsentieren.

4 As durch die Bank
Es wird schwierig Notizen zu machen. Wir fahren auf einem ausgetrockneten Flussbett und ich hau mir den Kopf an der Bus-Decke an. Ich frage mich, wo in der Regenzeit gefahren wird, aber vielleicht gibt es die ja gar nicht. Spektakulär geht es an Geisterdörfern vorbei. Wir sehen nur Alte mit Kindern, marode Häuser, die sich farblich kaum von der ausgetrockneten Gegend unterscheiden. Die Ansicht bestätigt die vielbesprochene Landflucht. Eltern gehen zum Arbeiten in die Großstadt, Millionen Väter ziehen monatelang als Wanderarbeiter durchs Land und die Kinder werden bei den Großeltern zurück gelassen. Nach zwei Stunden kommen wir am Wudangzhao Kloster an. Wir haben 45 Minuten Zeit, den von der Kommunistischen Partei Chinas mit 4 As bewerteten Tempel zu besuchen. Eine spitzen Bewertung für eine kulturelle Stätte. Wir schlendern durch die Tempelanlage, durch Gebetshallen und Studierstuben der Mönche. Das Mittagslicht fällt zaghaft in die Räume, Staub tanzt zwischen den Holzsäulen, die mit zerschlissenen bunten Stoffbändern umschlungen sind. Die Wandmalereien bilden buddhistische Szenen ab. Zum Teil verblichen oder von Rissen zerteilt, veranschaulichen sie noch immer lebendig das Leben aus buddhistischer Sicht. Das Stroh quillt aus den Rissen und ehrfürchtig stehe ich vor dem Anblick dieses Verfalls, in dem so viel Schönheit liegt. Ein Mönch erzählt uns, dass die letzten Neuerungen Ende des 19. Jahrhunderts durchgeführt worden waren. So ist es nicht verwunderlich, dass wir viel Stolz im Zusammenhang mit diesem Kloster begegnen. Obendrauf ist es der einzige multilinguale Tempel: hindu, chinesisch, mongolisch, tibetisch. Es sieht alles noch sehr vollständig aus, wahrscheinlich war Reinhold Messner noch nicht da.

Bevor der einzige Bus des Tages wieder retour in die Stahlstadt geht, drehen wir noch an den Glücksrädern, bestaunen im Kloster-Shop eine kleine Schachtel mit Kamasutra-Motiven und lassen uns von den Einheimischen die nicht abgerissene Eintrittskarte abluchsen. Als wir einsteigen, fällt unser Blick noch auf die Bus-Front und alles wird klar: Shaolin steht da in großen Lettern und wir wissen, die nächsten zwei Stunden heißt es festhalten.