Ehrfürchtige Kinderaugen versus riesen Schiß, Brauchtum versus Folklore – was bieten der 5. und 6. Dezember noch? Die Goaßl-Pass in St. Johann im Pongau vieles.

Text: Mascha K. Horngacher
Fotos: Stephan Ramp
Audiobearbeitung: Manuel Radinger

 

Nikolaus und Krampus, ein unzertrennliches Duo, wobei zweiter nie Einlass ins Mäderlhaus meiner Kindheit erhalten hat. Meine Erinnerung zum jährlichen Nikolaustag gibt zweierlei wieder: ehrfürchtige Kinderaugen, rot aufgeblitzt, und riesen Schiß vorm Kramperl. Was ich heute noch davon finde, hab ich mich gefragt und vielmehr, was dahinter steckt: hinter dem Brauchtum, der Angst und den Masken. Wolfgang Gangl, einer der bekanntesten Krampusmasken-Schnitzer im Pongau und darüber hinaus, brachte Licht ins Dunkel.

Ziegenkäse olé
St. Johann, 5. Dezember 2015. Wolfgangs Werkstatt ist die erste Herausforderung für eine Krampus-geschädigte Person wie mich, die jahrelang keinen Ziegenkäse essen konnte, weil der roch, wie sich ein Krampuslauf anfühlte. Masken wohin das Auge blickt: auf der Werkbank, an den Wänden, in den Regalen, auf dem Boden. Auch wenn die Meisten gerade leihweise ausgestellt sind, was die Bekanntheit der Gangl-Larven (Masken) bezeugt.

Natur pur
Wolfgang modelliert und schnitzt seit Ende der 1960´er. Arbeitsstunden pro Larve liegen bei dreißig, und der Ablauf beschreibt sich ungefähr so: ein Stück Zirben-Holz, Motorsäge, Schnitzmesser, Beize, bisschen Farbe, keine Kunststoffmasse, abnorme Hörner eines Ziegenbocks (d.h. 4 statt 2 Hörner), Fell, individuelle Anpassung der Innenseite an den Läufer, damit nichts drückt und dieser Spaß beim Laufen hat. Wie viel Freude der Läufer mit vier Kilo Maske, plus Glocken, plus Fellmantel wirklich beim Laufen hat, ist fraglich – sie schwitzen wie Schweine, sehen und hören kaum. Wenn´s dann auch noch vielleicht 14 Kilo bei einer traditionellen Klappmaulmaske mit beweglichem Unterkiefer sind, dann ist es eindeutig: da ist jemand mit Leidenschaft dabei.

Ying für´s Yang
Warum nun das Ganze. Beginnen wir beim Ursprung. Wie es brave Kinder gibt, gibt es auch nicht so brave Kinder. Und die gehören bestraft. So hat sich der katholische Nikolaus eine heidnische Figur zur Seite geholt, den Percht (der war ursprünglich die Frau Perchta, aber verlieren wir uns mal nicht ins Detail). Nachdem also die Nikoläuse und ihre Krampusse von Bauernhof zu Bauernhof gewandert sind, Kinder belohnt und bestraft haben, hat man sich später am Dorfplatz getroffen. Aus diesem Zusammentreffen ist dann der Krampuslauf entstanden.

Haue versus Streicheln
Was nun aber generell wichtig ist, ist die Unterscheidung zwischen Percht und Krampus (darauf bin ich nicht nur einmal aufmerksam gemacht worden…): also der Krampus ist die bestrafende Figur, der Kompagnon von Nikolo, er haut und vertreibt mit seinen Glocken böse Geister und den dunklen Winter. Der Percht, der kommt zu Jahresbeginn und streichelt, vor allem den Frauen um die Beine, für die Fruchtbarkeit, und läutet den Frühling ein.

Live dabei
Nachdem Wolfgang mich in das Brauchtum eingeführt hat, wollte ich mir das in Natura ansehen. Und zwar bei seiner Pass, wie man eine Gruppe bestehend aus Nikolaus, Krampussen, Engerln und dem Korbträger (Wald- oder Wurzelmannderl) nennt. Die Goaßl-Pass war bereits zu Mittag beim Grillen und Einstimmen für die nachmittäglichen Hausbesuche, die alles bestätigten. Auf die Frage, weshalb die Kerle und das Engerl das machen, hatten alle eine ähnliche Antwort: wegen den Kindern. Außerdem beschrieb Toni, der Nikolaus, es im Wild-Life-Chargon: es sei wie die Brunftzeit. Es packt einen zur gewissen Jahreszeit einfach. Und damit aufhören, daran wird nicht gedacht. Einmal Krampus, immer Krampus. Außerdem gehört das Brauchtum fortgeführt.

Krampusse zum Angreifen
Aber wie ist das nun mit der Angst? Es hilft nichts, da muss man rein wachsen, wurde mir gesagt. Damit´s leichter geht, gibt’s Krampusse zum Angreifen, so auch am Abend, bevor sämtliche Pässe durch den Untermarkt von St. Johann zogen. Außerdem wie der Vater so der Sohn, gibt es auch einen Kinderkrampus-Lauf, damit die nächste Pass-Generation gesichert wird. Dennoch gibt es Schattenseiten bei der Tradition.

Und Action
Bengalisches Feuer, Horror-Masken, Action: mancherorts ist das Brauchtum zu einer Show verkommen. Von den Auswüchsen erzählte Hans Strobl, eingesessener Krampuslauf-Organisator in St. Johann. Aber zumindest konnte 1978 mit einem Krampusstreik dafür gesorgt werden, dass am 5. Dezember im Untermarkt ordentliche Krampusse laufen: traditionell, mit Holzmasken und Fellmantel. Was die plus 50 Pässe des Laufs am 6. Dezember boten, hab ich mir erspart. Und fand die Kerle einfach nur mehr „liab“, und hoffe, dass viele dieses Brauchtum von dieser Warte aus erleben können.

Fazit: Einfaches Einmaleins: der Nikolaus ist der Gute, der Kramperl der Böse, eine Haube sollte ein Krampus immer dabei haben, Leberkäse stärkt, ein Schnapserl hat noch niemanden geschadet, aber immer ja sagen geht nicht, das Fell kommt von der Ziege und hält warm, mit 65 ist man(n) noch krampusfähig.

Dann bleiben nur noch zwei Fragen: Kommt´s auf´s Horn an? Warum gibt es keine „Krampusienen“?
Ahja, und fürchten tun sich nur die Sünder…

Die Porträts erinnern leicht an Mike Disfarmers Porträtierkunst – gratuliere Stephan, es wird gemunkelt, der habe von Mondrian abgeguckt.